Nach(DemLockdown)Wort

Das Aneinanderreihen von Wörtern, um vom aktuellen Leben zu schreiben.

Einiges hat sich angesammelt.

Da sind Lockerungen und mehr Bewegungsfreiheit.

Anfang Mai das erste Mal seit Wochen die Haustürschwelle übertreten und hinaus getreten. Die Treppe hinuter, es geht geht bergauf. Raus aus dem Schneckenhaus-Haus der Ausgangssperre und einen Spaziergang gemacht. Grosse Überraschung: Auf wundersame Weise ist es Sommer geworden. Warm. Sonnig und blau. Sehr luftig. Leicht grau der Himmel, nur wenn die schwüle Luft steht und es regnen sollte.

Grosse und kleine Inhalte, die ich teilen möchte: Ein Schuljahresende mit anstehenden Prüfungen. Die Kanditatin hat sich aber schon längst innerlich von Lust auf Lernen, Motivation, der Mittelschule, den LehrerInnen, ihren KlassenkameradInnen  verabschiedet.  Den vierzehnten Geburtstag ohne die eine Freundin -wegen Corona, sagte die mamma-  trotzdem nett gestaltet. Bald  noch ein siebzehnter. Morgen Geschenke besorgen gehen. Ein bestandenes Uniexamen nimmt die Bedeutung eines persönlichen Sieges über die ‚quarantena‘ an. Ein absehbares Ende der Kurzarbeit.  Wiedereröffnung meines Hauptarbeitsplatzes. Der Geschäftsführer schickt whatsapp-Bilderchen von Plexiglassschutzwänden und  – ach ja – bezahlen konnte er auch.

Andere  Menschen treffen, andere Menschen als nur die eigene Familie, Hausmitbewohner, Supermarktangestellte, die Metzgereifachverkäuferin mit der ich per Du bin, den Apotheker, die Lieferanten online bestellter Ware. Andere Menschen, meine Freundinnen, im Cafè, in der Fussgängerzone und im ‚parco di Monza‘. Sich den Lockdown von der Seele reden. Sich nicht umarmen können, fällt uns extrem schwer.

Weniger Stille trendet. Laut ist es geworden. Noch nicht so laut wie zu prä-Corona-Zeiten. Aber jetzt weckt mich der Verkehr, nicht mehr der Morgenvogel. Mit Unglauben sogar im Stau gestanden, Freitag ist es gewesen. Alle hatten die Fenster herunter gekurbelt und im Kreisverkehr hinter den Mund-Nasen-Schutz-Masken schimpfte man sich gegenseitig aus. In meinem Auto läuft der Motor mit im Februar getanktem Benzin.

Spass machen, so richtig, macht’s noch nicht. Das Hinausgehen. Trügerisch. Zu viele Menschen auf einmal meiden. Überall Sicherheitsprotokolle (paradox: es ist gemütlich Daheim!). Gut ist es, wenn du weisst, was dir gut tut, was du dir zutraust, ohne in Alarmbereitschaft zu geraten. Das den grossen Kindern mit auf den Weg geben, wenn sie losziehen und am sozialen Leben Gefallen finden. Freundschaften, sie sich endlich wieder treffen dürfen. Die kleine Tochter will noch nicht vor die Tür. Jedoch will sie kurze Haare. Und fast täglich liegt sie mir im Arm, wenn wir Anime angucken. Habe mich in ihre Welt entführen lassen. Phantasie ist ein gutes Beruhigungsmittel.

Auch wenn die Welt draussen offen steht, nach wie vor vermehrt im Netz unterwegs. Wenigere Meldungen über das desolate Italien in den Schlagzeilen und in meiner persönlichen social-Welt spürbar verbesserte Stimmung. Kochrezepte haben mehr Süße. Aufnahmen von der Natur und Krabbelgetier, Pflanzen und Blüten und ganz viel Meer und unbewölkter Himmel, neue Wanderwege. Mit einer Internetfreundnin Wettrüsten um unsere Balkonzucchini.

Italien hat in diesen Tagen sein Meer, seine Berge und Parks geöffnet. Und auch die Grenzen zwischen den Regionen. Wir haben Pläne geschmiedet und einen Ausflug gewagt. Ein Schatz, dieser Tag. Mit Picknickrucksack die Treppe hinuter gegangen. Es geht bergauf.

 

 

Mein unsriges Ziegelsteinhaus

Zustandskontrolle.

Die Stadt macht wenig Krach. Die Familie macht mehr Krach. Zuerst ein Blick nach Innen. Immer noch jener Druck, dumpf, nicht akut. Und leichter als gestern. Durchatmen? Geht… fast einwandfrei. Fast fluide. Erleichtert.

Halbschlaf ausnutzen. Beide Augen zudrücken. Dem Vogelgesang zuhören, nicht der Familie jedoch, sich noch nicht konzentrieren können, müssen. Noch ein bisschen alleine sein mit mir will ich.

Aufgestanden. Milchkaffee, den gebeugt über Buch schlürfend und extra angelieferten Keksen,  glutenfrei, und ein ehrliches „Buongiorno, come state?“ in die Familienrunde.

Dann Diverses im  Haushalt und Waschvorgänge: Körperhygiene erledigt wie auch Waschmaschine und Spülmaschine.

Der Tatendrang ist träge. Das Gemüt ist ergraut. Gute Laune aus purem Trotz. Marke Eigenbau. Optimismus versus Ausicht auf eine sich düster abzeichnende Perspektive.

Hoffnungsfroh war gewesen. Zu Ostern. Zur Zeit eher Ärger bis tief in die angespannten Schultermuskelfasern. Ein bisschen Gymnastik. Auflockerung. Hoffnungsfroh war einmal. Hm. Wobei… Falsch. Denn es gab sie, es gibt sie noch, jene lichthellen Momente. Augenblicke. Momentblicke. Und Erinnerungsblicke an eilfertige, anscheinend sinnvollere Tage. Gedanken an das Danach, auch wenn wankelmütig. Danach einen Blick aufs Handy. Virtuell ist trendy.  Liebevolle Lebenszeichen, Nachrichten und Nachfragen stimmen mich heiter, wühlen mich auf, rühren mich.

Blicke gelten auch dem Weltgeschehen. Unser Fernseher ist so gross wie ein Einzelbett. Apokaltisches Klima in den mass media. Hagel schlägt ein in Form von Zahlen, Statisken, Reportagen.  Kampfgeist aktivieren und sogar ein Kriegsbeil ausgraben. Krieg dem Virus! (Bitte, behutsam sein mit der Sprache! Aber die Sprache draussen hat sich verändert.) Das Virus hat, supermegahöchstwahrscheinlich, meine Familie, seit ein paar Wochen unter Beobachtung stehend und umsorgt vom Amt, durchseuchtet. Krasses, neu erworbenes Tunwort. Das andere Verb, in Futurform, ‚andràtuttobene‘ wird nicht aufgehen. Meiner Meinung nach, jedenfalls, stimmt’s nicht – mehr. Zu viele Unstimmigkeiten und Unwissenheiten und Unorientierung im dichten Expertendschungel. Vorvorgestern voll verloren im Politik(er)dickicht.

Arbeiten gehen. Online. Zwei Schulen haben noch Arbeit, die Rechnungen liegen auf Eis. Schüler auf der Plattform: Donnerstags treffe ich stumme Teenies, weil schüchtern. An den sonstigen Tagen mache ich auf mich absurd wirkende  Grammatik und Sprechfähigkeitsförderung mit stummen, weil verängstigt, Erwachsenen während ihres Homeofficefeierabend.

Tagtätglich vorwärtsgerichtet denken. Eine 24-Stunden-Einheit nach der anderen  organisieren und bewerkstelligen. Zu fünft duchhalten, das können wir! Kleinigkeiten unterstreichen. Den Tisch ordentlich decken, gemeinsam, gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, gemeinsam Ordnung halten; dem Einkaufsengel eine Liste schicken, sich vom Eisdielenlieferservice verwöhnen lassen und der freundlich modulierten Stimme vom Covid-19-Büro sagen:“Sechsunddreissig Komma acht. Ja, dann, bis morgen“ Für den Abend demokratisch den gemeinsamen Film abstimmen, zwischendurch Spiele, ein Puzzle abgestaubt. Puzzeln hat was von Teambuilding. Den Tag leben. Für manche Momente sogar nach draussen:

Frische Luft! Welche Farbe hat frische Luft? Sonne. Gerade sehr viel Sonne. Licht. Trockenheit. Der Südwestbalkon wurde über einer Sackgasse aufgehängt. Zu einer Zeit, als ich mir noch gar nicht vorstellen konnte, hier einmal zu leben. Wohnviertelpanorama mit bunter Bepflanzung im Vordergrund.  Mittagsblumen, Geranien, Jasmin, Affenschwanz. Redet Ihr auch mit den Pflanzen? Setzlinge pflegen. Dort, wo die letzten geparkten Autos stehen: Die Sackgasse führt in ein Feld. Dieses, so ganz ohne den Bauern, sehr müßig, grün, mit Pusteblumen schon. Ist die Luft rein, erscheint ein Gebirge im Norden. Geht der Wind wird  der Balkon zu einer Schiffsreling, man könnte durch kniehohes Gras zu den Bergen schwimmen.

„Mamma, come stai? Ho preso un sette in latino“ Sei umarmt, meine Liebe! Wie tapfer du bist.  Heute ist dein Namenstag. Die eine Tochter zählt mit ihren Schulkameradinnen die Tage. Jeden. Einzelnen. Wir erzählen uns uns. Menschen erzählen mir, wie es ihnen geht, so wie ich auch ihnen erzähle, wie es mir gehe.

Die eine Tochter zählt mit ihren Schulkameradinnen die Tage. Ich versuchte sie hiermit in Worte zu fassen.

 

 

von Mut und Sonne und Tulpen auf dem Balkon

Bei Sargatanasal fand ich diesen Beitrag, der mir richtig gut getan hatte, denn die Worte haben auf positive Weise meine Gefühlslage verstärkt: https://sargantanasal.com/2020/04/02/automatisch/

Ihr Text geht auf folgendes Werk zurück:

 „Der Mutschöpfer“ von Thomas Rosenlöcher:

Der Mutschöpfer

Er steht im Hof und sieht die Weltgeschichte
Die geht voran und immer wieder schief
und wieder heißt es: Vorerst noch verzichte
bis kommt, was doch kommt, sagt er, atmet tief

steht ja im Hof, und wendet das Gesicht,
da dicht am Zaun das krause grüne Leben
der Sträucher anfängt, sich erneut zu regen
und Krokus zart die Erde bricht

Und öffnet voller Staunen seinen Mund
dass unversehens die liebe Sonne schrägt
vorbei an der Dachkante, durchs Geheg

der Zähne, zwei, drei Strahlen auf den Grund
der Kehle schickt. Lichtschluckend schöpft er Mut
als käme die Zeit und alles würde gut.

 

Und auch ich habe mich inspirieren lassen wollen….

Ich gehe auf dem Balkon, die Fliesen alt, die Ziegelmauer ist duftend warm, das Geländer rostbraun. Ich stehe auf dem Balkon und höre klassische Musik aus dem Netz und betrachte meine kleine Welt.  Blumenkästen mit Tulpen und Narzissen, eine Strassenkreuzung, Wohnhäuser, Gärten mit Bäumen mit Blüten. Der Abend darf kommen, das Licht ist hellorange, auch die Uhr lädt ihn ein. Mit geschlossenen Augen können meine Ohren sich besser konzentrieren auf fröhliches Hühnergeschwätz, dichten Vogelgesang, Hundegebell, Kirchenglocken, und auf die Stimmen der  Nachbarn, die in eine Sprache reden, die ich nur gelernt habe. Muss sie nicht immer verstehen. So wie ich nicht immer alles wissen und verstehen muss, was  sich jenseits der Kreuzung abpielt. Nur noch einen Moment, ich atme den Frühling ein und alte Luft aus. Schonung für Körper und Seele. An den Schutzengel denkend wende ich mich zurück, ins Haus, und bin überzeugt, es wird anders sein, jedoch, alles wird gut.

Lokah Samastah Sukhino Bhavantu. Oder wie ich versuche, auf mich aufzupassen.

Seit meinem letzten Beitrag sind im Grunde nur wenige Tage vergangen, und doch hat sich weltweit so viel gewandelt…

Wie geht es Euch, liebe LeserInnen? Wo seid Ihr, wo und wie lebt Ihr? Kommt ihr klar?

Wie geht es meiner Familie und mir selbst? Wie geht es uns Fünfen hier zusammen in der Wohnung?

Die sechste Woche seit dem Ausbruch des Virus‘ in Italien hat begonnen, und wenn ich korrekt nachgezählt habe, startet die dritte Woche der Ausgangssperre.

Beklemmend, beängstigend, unwirklich, unbegreifbar, unfassbar … das sind passende Beschreibungen, aber die Situation, vor allem hier in der Lombardei, kann man nicht in Worte fassen. Vor wenigen Tagen noch hatten wir mit Begeisterung an diversen flashmobs teilgenommen (obwohl es in den Häusern, die wir überblicken können, eher ruhig war und wir uns etwas blöde vorkamen). Jetzt  bedarf es an öffentlicher, kollektiver Stille.

Machmal bin ich froh um die ‚eingeschränkte Mobilität‘, so kann man sich besser abschirmen. Dann kann man sich zurückziehen und ausschalten, Nervenstärke zum Durchhalten sammeln.

Durchhalten und Zusammenhalten sind zwei wichtige Worte geworden. Die Menschen sind in Kontakt. Ständig. Vernetzt. Online. Telefonate, Chats, hangouts,  Dokumente, Videos, Witze, Nachrichten, Hygienetipps, Kochrezepte, Geburtstagsgrüße, Gymnastik, Schule, homeoffice, Anleitungen zur Meditation, Messfeiern… Es tut so wohl, sich mit anderen Personen auszutauschen. Man versteht sich. – Und nicht zu vergessen, online findet man auch die Passierscheine, die man benötigt, sollte man sich doch mehr als die  erlaubten 200m vom eigenen Haus wegbewegen.

Nach der anfänglichen Schockstarre, haben wir uns/habe ich mich in der neuen Routine eingefunden. Die Abläufe von ‚früher‘ in einer neuen Form und zu anderen Uhrzeiten. Trotz Quarantäne sind die Tage voll. Nur ohne Hin- und Hereilerei.

Ich kümmere mich in erster Linie um Haushalt und Kochen, denn die Töchter haben ihre online-Schule  und der Sohn bereitet sich auf ein Uni-Examen vor, zieht sich tagsüber zurück, wie ein Mönch, der in Klausur lebt. Jedoch habe ich begonnen, die Kinder immer tiefer in die Geheimnisse eines Haushaltes einzuweihen. Eine Sache ist Mithelfen, aber selber tun ist noch einmal etwas anderes. Ich habe ganz klar gesagt, dass sie wissen müssen, was zu tun ist, falls der Mann oder ich ernsthaft krank werden sollten. Der Mann ist morgens im homeoffice, baut nachmittags Überstunden und alten Urlaub ab und hat begonnen, als Freiwilliger bei diversen Projekten mitzuarbeiten. Unter anderem bei der hotline der Region Lombardei. Den traurigsten Anruf bisher erhielt sein „Nebensitzer“: ein 15jähriges Mädchen, das mit seiner 12jährige Schwester alleine zu Hause zurückgeblieben war, brauchte Hilfe, nachdem zuerst die Mutter und dann der Vater ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

Lagerkoller haben wir (noch) keinen. Wir haben viele gemeinsame, sehr geschätzte Momente: einen zwangisten Geburtstag, gemeinsame Mahlzeiten, Filme, Spiele. Die beiden Schwester haben sich eng verbündet. Die kleine Tochter ‚gehorcht‘ lieber ihrer Schwester als der Mutter. So gibt die Grosse den Ton an :“Komm, steh‘ auf, wasch dich, mach die Hausaufgaben, machen wir Gymnastik, reinigen wir den Kaninchenstall… “

Abends und samstagsvormittags habe ich meine Sprachkurse: Letzten Mittwoch war die Stunde relativ unterhaltsam: ich saß im Schlafzimmer und meine Schüler Fabio und Oleg in ihren Wohnzimmer bzw. Küche. Ideal, um den Dativ zu wiederholen: „Wo sitzt du? Was steht hinter, neben, vor dir? Was siehst du, wenn du aus deinem Fenster schaust?“ Am Freitag sah ich nach drei Wochen meine „Männer“ Amedeo, Fede und Luca wieder. Seit Jahren haben wir eine feste, sehr vertraute Gruppe, aber Freude, sich wieder zu sehen kam nicht auf; nur betroffene Gesichter. Auch bei meinen Einzelschülerinnen Nicoletta und Laura nur müde Blicke in die webcam. Wir verbringen einen angenehmen Moment zusammen, beschäftigten uns mit Passiv, Konjunktiv II oder Businesssprache. Dann verabschieden wir uns mit einem geheuchelten Grinsen und virtuellen Küßchen. Meine ’studenti‘: eine Handvoll Leute, die jedoch repräsentativ für Italien stehen: Sorge um die eigene Gesundheit, Sorge um Angehörige, Sorge um den Arbeitsplatz. Die einzigen, die etwas Spaß an den online-Kursen haben, sind wohl ‚meine‘ Sechst- Siebtklässler einer Mittelschule, die sich für einen Konversationskurs angemeldet hatten. Bis Mitte Februar sahen wir uns jeden Donnerstag in einem stinknormalen Klassenzimmer. Nun eben im Netz. Mit einem guten Anpassungsvermögen und frisch erworbenen PC-Kenntnissen kommt man zur Zeit ziemlich weit.

Draussen rückt das Virus näher. Die Provinz Monza und Brianza ist betroffen, mein Wohnort ist betroffen. In meinem Bekanntenkreis gab es Covid-Todesopfer. Auf den beiden  Strassne vor unserem Wohnhaus ist es sehr still geworden.  Viele Vögel, die gackernden Hühner der Nachbarin, Stimmen aus den Wohnhäusern, Hundegebell. Ein Auto, einer der letzten Linienbusse, der noch fährt. Dann wieder Stille, ein Luftzug. Wieder Vogelgesang. Unterbrochen von den Sirenen der Rettungswagen.

Schon seit einigen Tagen habe ich beschlossen, weniger Nachrichten zu sehen und der Pressekonferenz des Zivilschutzes gar nich mehr zu folgen. Zu viel schlechte Nahrung für den Kopf. Und auch die Filme, Aufrufe und Bilder… Bergamo… Intensivstationen… Feldlazarette…Die von Militärkonvois abtranstprtierten Leichen…  Ich verstehe absolut nicht, wie es noch Menschen geben kann, die sich über eingeschränkte Grundrechte beschweren. Ja, eine Ausgangssperre  ist zwar eine Belastung, aber aushaltbar. Und es ist sehr belastend in der eigenen „Wohnhöhle“ zu sitzen und erleben zu müssen, wie draussen, ein Land zusammenbricht. Tränen fließen.

Die Krise geht nicht spurlos an einem vorbei. Ich habe ein ausgezeichnetes Körpergefühl, ich beginne, die  Quarantäne deutlich an mir zu spüren. Ich bin eindeutig unkonzentrierter; wobei  sich dieses „Symptom“ in den letzten Tagen gelegt hat. Mir ist kalt. Ich habe aufgrund einer Hashimoto-Erkrankung sowie schon  Temperaturempfindungsstörungen. Jetzt ist mir ständig irgendwie kalt. Schlafprobleme kenne ich, bis auf chronische Müdikeit (siehe wieder Hashimoto) nicht, aber ich wache in letzter Zeit ab und zu mitten in der Nacht auf, weil das Gehirn zu beschäftigt, zu überfordert war, Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten. Dann träumte ich auch noch davon, dass die Kleinste nächstes Schuljahr in der neuen Schule sitzen bleiben würde- weil  eben zu viele Bildungslücken und so….

Selfcare ist mehr denn je angesagt. Sorgsam und achtsam mit sich selbst umgehen. Ich habe für jeden neuen Tag, mehr kontrollierbare Perspektive erlaube ich mir gerade  nicht,  ein neues Vorhaben, einen Plan, eine Struktur: und sei es nur das aktuelle Buch, ein besonderes Rezept, Putzen, Pianokonzerte auf Youtube, kurze Ausflüge in die Kunstgeschichte dank Twitter, ein date mit der Jüngsten, um Arm in Arm einen japanischen Zeichentrickfilm zu sehen. Oder ich mache mein Yoga. Meine beiden Lehrer schicken uns via WhatsApp Anleitungen, kurze Videosequenzen oder Musik. und letztens habe ich auch hier in der Wohnung „meine“ Mantras laut gesungen. So was habe ich noch nie vor meine Familie  gemacht.  Vielleicht haben sie ein paar ‚good vibes‘ abbekommen.

Vielleicht kling es etwas abgefahren, aber, weil mir die Übungen so gut tun,  möchte ich meine Suche nach Wohlbefinden mit Euch teilen und Euch gerne etwas weiterschenken: Hier ein link . Die Bedeutung des Mantras und Segensspruchs Lokah Samastah Sukhino Bhavantu lässt sich übersetzen mit: Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erfahren.

Passt auf Euch auf und bleibt gesund!

 

 

 

 

Erst gelb, dann rot, und jetzt in der Ausgangssperre

Wo beginnen?

Jetzt. Ich weiss es .

Mein Mann hat einen Cousin. Er heisst Francesco und ist examinierter Krankenpfleger, mit Schwerpunkt ‚Krankenpflege in Krisen- und Katastrophengebieten‘. Francesco ist schon sehr viel in der Welt herumgekommen, hat für humanitäre Hilfsorganisationen gearbeitet. Und tut das auch immer noch. Das letzte Mal hatte ich ihn Anfang Oktober in Turin getroffen. Meine italienische Familie stammt aus Turin.  Francesco berichtete begeistert davon, dass seine chinesische Frau ein Baby erwarten würde und dass sie eine neue Wohnung in Wuhan gefunden hätten und er übermorgen dorthin zurückkehren würde. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt von der Existenz dieser Metropole erfuhr. Ende Dezember kamen dann Francescos Eltern, Valerio und Grazia, aus China zurück, sie hatten ihr neugeborenes Enkelkind besucht. Kurz daruf überschlugen sich dann die  Ereignisse + Nachrichten aus jener Stadt. Zuerst hatten wir wenig Notizen… da war ja auch unser Alltag und Asien (noch) weit weg. Die Probleme + Sorgen wurden grösser und dann hörten wir Francesco in italienischen Fernseh- und Radioprogrammen aus Wuhan berichten und er selbst veröffentlichte Blogpost auf dieser Seite hier. Wer kennt sie nicht, die schrecklichen Bilder aus China?!

Ende Januar schafften seine Familie und er  es, mit einer italiensichen Maschine aus China nach Italien zu fliegen und sie verbrachten erst einmal zwei Wochen Quarantäne in Rom, in einer Kaserne.

Jetzt lebt die kleine Familie bei Valerio und Grazia.

Ich bedauerte den Cousin und bewunderte sein Durchhaltevermögen. Dass sein Vater aus dem Kirchenchor in Turin ausgeschlossen wurde, weil er seinen Sohn aus China bei sich zu Hause aufgenommen habe, erschien mir als ziemlich ‚arschig‘.

Und nun befindet sich meine Wahlheimat in einer vergleichbaren Situation.  Am 24.2.  verstand ich, dass mein ‚territorio‘ zur gelben Zone wurde, weil wir in der Nähe der ‚roten‘ leben. Nachrichten und behördliche Massnahmen wurden ergriffen und überrollten den Alltag. Keine Schule, keine Uni… wenig Termine, viele Absagen. Inzwischen ist ganz Italien ist im Ausnahmezustand, seit Sonntag leben wir unter Qurantäne, heute ist Tag Nummer zwei der Ausgangssperre.

Im Moment hat die mittlere Tochter Fernunterricht, fünf Stunden am Pc. Ihr Augen sind Quadrate, sie fühlt sich benommen. Der Sohn studiert alleine vor sich hin, er hat Notizen, Unterlagen und Bücher und hat entschieden, den online-Vorlesungen wenig zu folgen. Es gibt Probleme mit der Internetverbindung und er sagt, er könne sich schlecht konzentrieren. Die Kleinste macht ‚Hausaufgaben‘ im Schlafanzug. Über ihr ‚telefono mobile‘ ruft sie aus dem ‚registro elettronico‘ (so eine Art digitales Klassentagebuch) und via einer App ihr Lernprogramm ab. Privacy gibt’s nicht mehr: Schüler und Lehrer tauschen sich Telefonnummern und Emailadressen aus. Heute Nachmittag hat eine Lehrerin einen  Spielnachmittag (via skype) organisiert, die Teilnahme ist freiwillig. Mein Mann hatte noch bis Freitag voll gearbeitet, war noch auf businesstrips, jetzt hat er morgens homeoffice und nachmittags ist er in Ferien.

Am Montag hatte ich meinen ersten Hamsterkauf erledigt. Nicht aus Angst um die Versorgungslage, sondern aus dem einfachen Grund, nicht zu oft das Haus verlassen zu müssen. Jetzt haben wir einen vollen Küchenschrank und im Hauswirtschaftsraum zwei Kisten mit Konserven, abgepacktem Brot, Saft etc. Ja, ihr lieben Deutschen, ich habe auch Klopapier und, bei drei Frauen in der Familie, eine extra Ration an Hygieneartikeln besorgt. Nicht vergessen: unser Kaninchen, sechstes und kleinsten Familienmitglied. Auch für es ein Hamsterkauf, bestehend auf Sroh, Heu und Trockenfutter.

Am Dienstag hatte ich persönlichen Kontakt mit einer Nachbarin, deren Tocher und ihrer Freundin und zu einer Klassenkameradin meiner kleinen Tochter und deren ‚mamma‘ und Oma. Am Mittwoch bin ich nochmals aus dem Haus, das letzte liegengebliebene Schulmaterial für die Kleinste abholen. (wann und ob die Schulen öffen, steht in den Sternen!) Die letzten nicht zu meiner Familie gehörenden Personen, die ich getroffen habe, sind also die Hausmeisterin der Schule und, weil ich noch kurz was besorgen war, die Metzgereifachverkäuferin.

Die ersten zwei Wochen im ‚Coronafrei‘ hatten auch was Nettes an sich: keine Alltagshetze, mein Geburtstag, bissle entschleunigen, bissle ‚ciondolare‘, was ‚herumgammeln‘ bedeutet. Der Alltag draussen war noch mehr oder weniger normal. Weniger, immer weniger.

Europa schaute auf Italien. Und diese ‚es ist doch nur eine Grippe-Zeit‘ war eindeutig vorbei. In der Tat kippte die Situation am Freitag, 7.3., um. Wenn man aufmerksam Nachrichten und Pressekonferenzen verfolgte, wurde klar, dass irgendetwas passieren musste/würde. Das Gesundheitswesen ist am kollapieren. Es fehlt an Personal, Material und Räumlichkeiten. Schreckensberichte im TV und in den socialmedia lassen das Gefühl aufkommen, das Land sei im Krieg. Ich kann die Menschen verstehen, die an irgenwelche Verschwörungstheorien glauben.

Letzten Samstagabend hatte ich ein date bei einer guten Freundin. Pizza, Bier, Tiramisù und Lakritzlikör. An diesem Abend wurde die rote Zone auf meine Region, die ganze Lombardei, und weitere Provinzen ausgeweitet. Eingeschränkte Mobiliät.

In der Nacht brach das Choas aus, denn aus der Grossstadt Milano flohen tausende Menschen Richtung Süditalien. Diese wurden aber an Haltestellen und Bahnhöfen von Polizei und Krankenwagen kontrolliert, abgefangen und in Heimquarantäne geschickt. Als dann in diversen Gefängnissen Aufstände ausbrachen, es ging um extrem strenge Besuchszeiten/Kontaktsperre u.a. und dann auch noch die autonome Szene mitmischte, bekam ich das erste Mal richtig Angst um die öffentliche Sicherhiet..

Stattsoberhaupt Giuseppe Conte stellte das ganze Land unter Quarantäne und wir Bürger erhielten Ausgangssperre.

Es ist schwer in Worte zu fassen, was wir/ich in diesen Tagen erleben und fühlen. Es ist ein Auf und ein Ab: Nachrichten, Meldungen, die tägliche Pressekonferen des Zivilschutzes um 18 Uhr, Zahlen, Statisken … mein whatsapp und outlook laufen heiss, man tauscht sich alles aus: Emotionen, Sorgen, Schlagzeilen, News, Witze, Videos, Kochrezepte, Aufrufe zu flashmobs. Ein sehr wertvolles Ventil: mein Twitter! Ich liebe Euch alle!

In China wurde von den Balkons aus gerufen und geschrieen, in Napoli gibt’s Musik. Mir kommen die Tränen vor Rührung.

Natürlich habe ich Angst. Ich will nicht unbedingt erkranken, es ist immer Scheisse, wenn eine Mutter und Ehefrau ausfällt. Mein Mann kann vieles, aber ihm fehlen auch Informationen (nach dem Motto: er macht seinen Job, ich meinen). Gott sei Dank, sind meine Kinder relativ gross, autonom, verantwortungsvoll und sich der Situation voll im Klarem. Sollten sie erkranken, weiss ich, dass ich eine ziemlich gute Kinderkrankenschwester  sein kann. Habe Erfahrung seit 20 Jahren, bin eigentlich immer gelassen geblieben, bis auf das eine Mal, als die mittlere Tochter einen Unfall hatte und in der MaxilloFazial- Chirurgie landete. Sorgen machen ich mir um den Mann, der ist sehr vulnerabel für Atemwegsinfekte. Ich muss an den Schwiegervater, betagt und einigen Wehwehchen, denken, den wir nicht besuchen dürfen. Ich denke an meine Mutter, sie hat gerade eine Strahlentherapie hinter sich.

Im Grunde sind nur wenige Wochen vergangen, aber das was Normal war, der Alltag, scheint ewig weit weg. Luxusware. Und: wer weiss, wie lange diese Situation noch anhalten wird. Die Ausgangssperre und die Massnahmen des lezten Dekretes sollen bis 25.3. dauern.

Dass etwas Schlimmes passieren wird, wurde uns am Wochenende 22./23.2. klar. Wir fuhren in den Skiort Bardonecchia. Mein Schwager und seine Familie haben dort eine Ferienwohnung, mit anderen Bekannten feierten wir den 18. Geburtstag meiner Nichte. Am Samstag gingen schon die ersten, alarmierenden Nachrichten um, am Abend sprachen wir Erwachsenen über nichts anderes und das Jungvolk starrte uns sowohl genervt als auch beängstigt an. Am Sonntag verbrachten wir den Mittag auf einer Hütte, sassen in der Sonne, sahen den Wintersportlern zu, und auch den vielen Skischulegruppen, alle in lustigen Kostümen – es wa ja Karneval! Im Internet dauernd irgenwelche breaking news… am Nachmittag gingen wir in die Kirche. Kein Friedenszeichen. Abstand halten während der Eucharistie. Gebete für das ‚colletivo‘. Wir fuhren dann nach Hause und landeten in einer veränderten Welt.

Die meist gebrauchten Adjektive seit jener Autofahrt: gespentisch, absurd, irreal, irrsinnig.

Es ist inzwischen halb zwei Uhr geworden. Ich sollte mal  Mittag kochen, um halb drei habe ich ein berufliches Telefonat und um sieben dann meinen üblichen Freitagabend-Abendkurs. Online. Dazwischen ein bisschen selfcare: ein Spaziergang hier ums Haus. Mit aus dem Internet  downgeloadeter, obligatorischer Bescheinung, die ich ausfüllen muss: Wer bin ich und was will ich draussen?

Bestimmt kommt es noch zu einem gemeinsamen Fernsehabend mit brainwashing, denn anstatt Werbung kommen vermehrt spots der Ministerien, die die Bevölkerung auffordern, sich an die Regeln und Gesetze zu halten.  Unter Androhung von Bussgeldern und schlimmerem.