Zustandskontrolle.
Die Stadt macht wenig Krach. Die Familie macht mehr Krach. Zuerst ein Blick nach Innen. Immer noch jener Druck, dumpf, nicht akut. Und leichter als gestern. Durchatmen? Geht… fast einwandfrei. Fast fluide. Erleichtert.
Halbschlaf ausnutzen. Beide Augen zudrücken. Dem Vogelgesang zuhören, nicht der Familie jedoch, sich noch nicht konzentrieren können, müssen. Noch ein bisschen alleine sein mit mir will ich.
Aufgestanden. Milchkaffee, den gebeugt über Buch schlürfend und extra angelieferten Keksen, glutenfrei, und ein ehrliches „Buongiorno, come state?“ in die Familienrunde.
Dann Diverses im Haushalt und Waschvorgänge: Körperhygiene erledigt wie auch Waschmaschine und Spülmaschine.
Der Tatendrang ist träge. Das Gemüt ist ergraut. Gute Laune aus purem Trotz. Marke Eigenbau. Optimismus versus Ausicht auf eine sich düster abzeichnende Perspektive.
Hoffnungsfroh war gewesen. Zu Ostern. Zur Zeit eher Ärger bis tief in die angespannten Schultermuskelfasern. Ein bisschen Gymnastik. Auflockerung. Hoffnungsfroh war einmal. Hm. Wobei… Falsch. Denn es gab sie, es gibt sie noch, jene lichthellen Momente. Augenblicke. Momentblicke. Und Erinnerungsblicke an eilfertige, anscheinend sinnvollere Tage. Gedanken an das Danach, auch wenn wankelmütig. Danach einen Blick aufs Handy. Virtuell ist trendy. Liebevolle Lebenszeichen, Nachrichten und Nachfragen stimmen mich heiter, wühlen mich auf, rühren mich.
Blicke gelten auch dem Weltgeschehen. Unser Fernseher ist so gross wie ein Einzelbett. Apokaltisches Klima in den mass media. Hagel schlägt ein in Form von Zahlen, Statisken, Reportagen. Kampfgeist aktivieren und sogar ein Kriegsbeil ausgraben. Krieg dem Virus! (Bitte, behutsam sein mit der Sprache! Aber die Sprache draussen hat sich verändert.) Das Virus hat, supermegahöchstwahrscheinlich, meine Familie, seit ein paar Wochen unter Beobachtung stehend und umsorgt vom Amt, durchseuchtet. Krasses, neu erworbenes Tunwort. Das andere Verb, in Futurform, ‚andràtuttobene‘ wird nicht aufgehen. Meiner Meinung nach, jedenfalls, stimmt’s nicht – mehr. Zu viele Unstimmigkeiten und Unwissenheiten und Unorientierung im dichten Expertendschungel. Vorvorgestern voll verloren im Politik(er)dickicht.
Arbeiten gehen. Online. Zwei Schulen haben noch Arbeit, die Rechnungen liegen auf Eis. Schüler auf der Plattform: Donnerstags treffe ich stumme Teenies, weil schüchtern. An den sonstigen Tagen mache ich auf mich absurd wirkende Grammatik und Sprechfähigkeitsförderung mit stummen, weil verängstigt, Erwachsenen während ihres Homeofficefeierabend.
Tagtätglich vorwärtsgerichtet denken. Eine 24-Stunden-Einheit nach der anderen organisieren und bewerkstelligen. Zu fünft duchhalten, das können wir! Kleinigkeiten unterstreichen. Den Tisch ordentlich decken, gemeinsam, gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, gemeinsam Ordnung halten; dem Einkaufsengel eine Liste schicken, sich vom Eisdielenlieferservice verwöhnen lassen und der freundlich modulierten Stimme vom Covid-19-Büro sagen:“Sechsunddreissig Komma acht. Ja, dann, bis morgen“ Für den Abend demokratisch den gemeinsamen Film abstimmen, zwischendurch Spiele, ein Puzzle abgestaubt. Puzzeln hat was von Teambuilding. Den Tag leben. Für manche Momente sogar nach draussen:
Frische Luft! Welche Farbe hat frische Luft? Sonne. Gerade sehr viel Sonne. Licht. Trockenheit. Der Südwestbalkon wurde über einer Sackgasse aufgehängt. Zu einer Zeit, als ich mir noch gar nicht vorstellen konnte, hier einmal zu leben. Wohnviertelpanorama mit bunter Bepflanzung im Vordergrund. Mittagsblumen, Geranien, Jasmin, Affenschwanz. Redet Ihr auch mit den Pflanzen? Setzlinge pflegen. Dort, wo die letzten geparkten Autos stehen: Die Sackgasse führt in ein Feld. Dieses, so ganz ohne den Bauern, sehr müßig, grün, mit Pusteblumen schon. Ist die Luft rein, erscheint ein Gebirge im Norden. Geht der Wind wird der Balkon zu einer Schiffsreling, man könnte durch kniehohes Gras zu den Bergen schwimmen.
„Mamma, come stai? Ho preso un sette in latino“ Sei umarmt, meine Liebe! Wie tapfer du bist. Heute ist dein Namenstag. Die eine Tochter zählt mit ihren Schulkameradinnen die Tage. Jeden. Einzelnen. Wir erzählen uns uns. Menschen erzählen mir, wie es ihnen geht, so wie ich auch ihnen erzähle, wie es mir gehe.
Die eine Tochter zählt mit ihren Schulkameradinnen die Tage. Ich versuchte sie hiermit in Worte zu fassen.