in berlin trafen sich im juni 2015 die champions-league-apostel zu einer megaparty. augenzeugen waren die herren mann und sohn. sonntag vor zwei wochen verfolgten millionen amerikaner den super bowl. fernsehzeuge war erneut herr sohn, der bis halb drei nachts das spektakel verfolgte. phänomene dieser art sind in der sportwelt total normal; aber in der welt der musik? gibt es da vergleichbares?
in italien, ja! das land befand sich vergangene woche im musikalischen ausnahmezustand, der da ’sanremo‘ hieß: das nationale schlagerfestival (festival della canzone italiana). stars wie modugno, cotugno, ramazzotti, zucchero, laura pausini, bocelli, sind ihm entsprungen und dadurch populär geworden. dieses jahr wurde es zum 66 mal ausgetragen, wie immer im februar, wie immer im teatro ariston, wie immer in sanremo. wie immer frage ich mich: ansehen? ja oder nein? es gibt diverse meinungen darüber, ob es den heiligen, nach dem die stadt in ligurien benannt ist, tatsächlich gibt oder nicht- ich könnte ich ihn dann jedenfalls anflehen, damit dieses rumgesinge aufhöre.
jetzt mal ehrlich. mit sanremo verbindet mich eine hassliebe. jedes jahr werden anfang winter von den medien die moderatoren, die showgirls, die teilnehmenden sänger (es gibt zwei kategorien, die der ‚campioni‘ und die der ’neue musiker‘) und voraussichtlichen guest-stars angekündigt. und ich habe stets die gleiche reaktion:“ oh je, nicht schon wieder!“ so geht’s mir auch, wenn nach der sommerpause die serie a, sprich fussballbundesliga, beginnt. vor den fussballspielen kann ich mich retten, sanremo seh‘ ich mir doch immer wieder an.
das liegt auch daran, dass die familie meines mannes und er noch nie ein festival versäumt haben und jedes jahr diesem mit neuer begeisterung entgegen fiebern. dem gruppenzwang konnte ich nicht entfliehen. früher, als wir noch in torino gelebt hatten, gab es gemeinsame fernsehabende. nur in der werbepause durfte geatmet werden. am ende der show (sie dauert normalerweise ca. vier stunden) wurden verwandte und freunde in lange telefonkonferenzen verwickelt, in denen man die arrangements und texte der lieder, die garderobe der vips u.v.m. lobte oder kritisierte. heute sehen wir die show mit unseren kids an und die telefonate sind durch sms ersetzt worden – und ein grosser teil der nation macht es uns nach.
viele italienische interpreten bzw. liedermacher mag ich ja sowieso (zum beispiel malika ayane, die immer wieder teilnimmt und letztes jahr den kritikerpreis erhielt, oder francesco renga, der so gute muik macht und toll aussieht ). was ich an dem wettstreit partout nicht liebe, ist die von violinen untermalte (hintergrunds-)musik. das ist mir eine spur zu kitschig und jedes lied läuft gefahr, eine schnulze zu werden. oft gibt es dann auch noch unsinnige kabaretteinlagen und halbausgezogene showgirls, die durch die gegend bzw. über die bühnenbretter hüpfen.
was mich anderseits an sanremo besonders fasziniert, ist die tatsache, dass alle leute, die ich frage, ob sie daran interessiert seien, stets todernst verneinen. „ich? sanremo? nie im leben!“, wird wir geantwortet. wie kommt es aber, dass während der austragung dieses contests die strassen menschenleer sind und die leute tagsdrauf die lieder auswenig singen können? ich bin wohl angeschwindelt worden. die sitzen alle daheim und gucken sich das programm an- nur wenige haben den mumm, offen zu sagen, dass sie die show mögen.
die spielregeln sind sehr semplice: die 28 teilnehmenden sänger treten gegeneinander an, tragen ihre lieder vor, werden vom fernsehorchester begleitet, dürfen sich jedoch einen lieblingsdirigenten aussuchen (und an dieser stelle muss ich unbedingt den stardirigenten beppe vessicchio erwähnen). das fernsehpublikum darf seine stimme abgeben, diese zählt 50 %, da es noch eine expertenjury gibt, die direkt im theater sitzt. es gibt diverse vorrunden und das grosse finale findet am samstag statt.
mein blog dient ja dazu, euch das ‚richtige‘ italien näher zu bringen. hier meine chronik der letzten tage.
dienstag, 9.2.2016 (laut eines tweets der fernsehanstalt rai 11.135.o00 zuschauer): habe nicht an die show gedacht. nur mein mann, der fand’s schade, dass wir aufgrund seiner geschäftsreise zwei abende getrennt waren, nicht zusammen auf dem sofa saßen, um den auftakt der show zu sehen. am abend, als ich in die sprachschule kam, rief ich laut in die runde:“also, heute geht sanremo wieder los. alle mit von partie?“ die kollegin am empfangsdesk zeigte mir den vogel und auch meine schüler machten grosse augen und beteuerten, heute abend bestimmt nicht das programm anzusehen. gut, das war die reaktion von drei leuten, keine vorzeigbaren daten; auf dem heimweg waren die strassen (wie vorhergesehen) leer und verlassen, wie an heillig abend. zuhause sassen meine kids auf dem sofa und fassten mir schnell die ersten 60 minuten zusammen. da nun aber am tag darauf schule war, gingen um halb elf alle brav ins bettchen- nachdem wir zusammen den auftritt von laura pausini, die ein medley ihrer berühmtesten lieder sang, gesehen hatten. auch ich zog mich zurück und knipste den televisore aus und meinen laptop an : tatort online gucken. suchte mir einen mit robert atzorn als hauptkommisar aus, den mag ich lieber als carlo conti, den entertainer.
mittwoch, 10.2.2016 (laut eines tweets der fernsehanstalt rai 10.748.00 zuschauer): um zehn vor acht fuhr ich meine mittlere tochter in die schule und aus dem radio schallten mir die songs von gestern abend entgegen. war soweit ok, denn bisher hatte ich nicht viel mitbekommen. dank der autofahrt war ich auf dem laufenden und konnte das telefonat mit meiner schwiegermutter überstehen. am vormittag war ich daheim, denn die kleinste tochter war krank. nun hätte ich mir im fernsehen die gossip-shows rund um sanremo angucken können. aber der haushalt musste auf vordermann gebracht werden und ich bügelte u.a. einen enormen wäscheberg weg. ich fand ganz unten im haufen noch eine sommerbluse!!! bevor ich dann das mittagessen kochte, gewann ich ausserdem zweimal beim halli-galli-spielen. man muss als mutter prioritäten setzen, war mir schnurzegal, was arisa gestern auf der bühne so schreckliches getragen hatte (argument nummer eins bei twitter). mittwochabends hatte ich wieder einen kurs und erneut sprach ich meine schüler an. ein bisschen konversation als aufwärmgymnstik, bevor die deklination des adjektivs drankam. danile sagte, er habe zwar fern aber nur einen harmlosen spielfilm gesehen und barbara hatte den apparat gar nicht angeschaltet, sie musste für die uni büffeln. um 20 uhr hatte ich eine verabredung mit meiner besten italienischen freundin ica. wir gingen zu unserem lieblingschinesen. wenn italiener zum chinesen gehen, ist das genauso als wenn die deutschen zum italiener gehen. während wir den corso entlang spazierten, kam es mir vor, als ob ein gigantischer kehrwisch alle passanten weggefegt hätte. aha, dachte ich mir, wieder alle daheim vor der glotze oder ist es das kalte regenwetter? auch das ristorante war weniger gut besetzt wie sonst. an der wand ein riesiger bildschirm und ab kurz nach halb neun lief sanremo an. ohne volumen, gott sei dank. so sah, aber hörte ich nicht was die verschiedenen kanditaten vortrugen. ica hatte gestern abend bis mitternacht sanremo verfolgt, sie hatte unbedingt elton john und maitre gims sehen wollen. zu hause sass mein mann und wartete nicht auf mich, sondern auf den auftritt von nicole kidmann. P.S.: ich fand den song von neffa gut. ich mag seinen stil.der text war leider banal und der musiker schaffte es nicht ins finale.
donnerstag, 11.2.2016 (laut eines tweets der fernsehanstalt rai 10.462.000 zuschauer): kurz nach sieben, erste tasse kaffee und meine schwer pubertierende tochter musste sich dringends über ihre probleme austauschen: sie verstand nicht, wie andere frauen den co-moderatoren und schauspieler gabriel garko schön finden können. ihr sei er zu aufgebrezelt. es folgte ein ziemlich schwarzer tag, denn die kleine tochter war immer noch krank zuhause, der grosse sohn kam verletzt vom schulsport zurück und bekam im pronto soccorso von monza einen gips verpasst und auf dem weg zu meinem abendkurs machte dann auch noch mein auto schlapp, so dass ich zwar nicht arbeiten ging, aber den gemeinsam mit der familie verbrachten sanremo-abend ich nur halbwegs geniessen konnte. um kurz vor mitternacht schlief ich auf dem sofa ein, nicht mal elio e le storie tese vermochten mich wach zu halten. dabei sind sie echt geniale, vorwitzige musiker. die show hatte mit dem halbfinale der nachwuchsmusiker begonnen; ich fand miele nicht schlecht, aber leider kam sie nicht in die endrunde. dann begann der wichtigere teil des programms: die grossen stars sangen cover. mir gefiel der italienische rapper clementino mit seinem ‚don raffaè‘ von fabrizio de andré am besten. sehr gelungen und unterhaltsam auch die kabaretteinlagen der virginia raffaele.
freitag, 12.2.2016 (laut internet 10.100.000 zuschauer): die zwei töchter hatten heute einen tag faschingsferien, denn im mailänder raum beginnt der karneval erst nach dem ’normalen‘ aschermittoch. ich unterwegs, um an der schule die versicherungsangelegenheiten meines sohnes zu klären und dann noch schnell ins krankenhaus, um einen termin in der orthopädie zu ergattern. keine zeit für nix, mal wieder. am spätnachmittag, in der sprachschule traf ich doch tatsächlich auf zwei leute, die gerne und positiv über das festival sprachen: die kollegin aus der verwaltung und der geschäftsführer. zu hause erwartete mich unser standard-freitagsabendprogramm mit pizza aus der pizzeria unter unsrer wohnung, angereichert mit pasticcini und cannoli und sanremo. so um zehn verkündigte ich, dass ich nicht lange aufbleiben würde, da ich ja am samstagfrüh zur arbeit musste. unter uns gesagt: eine gute ausrede, um zur ruhe und zum lesen zu kommen. ich habe entgegen meiner vorsätze dennoch recht lange durchgehalten, ich wollte unbedingt elisa nicht verpasen. meinn mann kann bei solchen gelegenheiten viel zäher sein als ich, er sah sich noch das sog. ‚dopo-festival‘ an, eine pseudojournalistische talkshow, die bis spät in die nacht dauert und zur psychologischen aufbearbeitung des erlebten beitragen soll.
samstag, 13.2.2016 ( laut wikipedia.it 11.222.128 zuschauer): samstags ist bei mir nichts mit ausschlafen. um halb zehn hatte ich meinen ersten schüler. ein stiller sechsklässler, der deutsch lernt, da er bald mit seinen eltern umziehen wird. der restliche vormittag verging mit einem tratsch bei einer tasse kaffee mit einer kollegin, es folgten ein salto in den supermarkt, in die apotheke und auf die bank. klingt alles normal, aber ihr müsst euch vorstellen, dass überall im hintergrund ein radio dudelte. verschiedene sender, gleiches thema, nämlich, ratet mal, sanremo. man sprach davon, welcher song der sommerohrwurm werden würde und wie viel geld wohl das starlett madalina ghenea bekäme. in meinem auto schaltete ich nicht das radio ein, sondern legte mike oldfield auf. das tat gut, seelenmusik. eigentlich hätte ich mich vor dem sanremo-fernsehabend problemlos retten können, weil, erstens, die klasse meiner kleinsten tochter einen gemeinsamen pizzaabend mit kostümfest organisiert hatte. da bin ich aber nicht hingegangen, da das töchterlein gerade mal ihre eitrige mandelentzündung mit hohem fieber besiegt hatte. und, zweitens, wie schon gesagt, mit sanremo verbindet mich eine hassliebe, d.h., dass ich doch ganz gerne das programm mitverfolge und schlussendlich ja wissen will, wer gewinnt. drittens: ich wollte auch nicht die anderen zwei kids mit meinem mann alleine lassen. mein ehemann war nervös und tigerte im wohnzimmer herum – in der instinkttheorie spricht man von übersprungsbewegungen – da am gleichen abend auch noch fussball lief! juve vs. napoli. in unserem wohnzimmer trafen sport- und musikgeschichte aufeinander und der arme wusste nicht, wem folgen. so sahen wir erst das match und dann das restliche musikfestival an. meine kids drückten für das duo caccamo/iurato die daumen, mein mann wollte, dass die michielin gewinnt. mein favorit neffa war ja schon ausgeschieden und so hoffte ich auf ruggieri, dessen songs mir generell immer gefallen. die stücke von noemi, arisa und den bluvertigo, alles leute, die ich mag, enttäuschten mich eher. nachdem renato zero, ein künstler, der mich sehr fasziniert, aufgetreten war, schlief ich wieder auf dem sofa ein. am sonntagmorgen erfuhr ich, dass meine family noch bis halb zwei bis zur siegerehrung aufgeblieben war:
die gewinner des diesjährigen musik-marathons waren die stadio mit ‚un giorno mi dirai‚ und der nachwuchsänger francesco gabbani mit ‚amen‚. die zweitplatzierte francesca michielin wird am eurovision song contest 2016 teilnehmen.
nun lasst mich mit folgenden worten eines anderen italienischen liedermachers, angelo branduardi, schliessen: „das war meine moderation.“
bis zum nächsten mal!